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29.03.2015 - Kobinet-Nachrichten

Anna Radtke bietet Infos zum barrierefreien Reisen

Veröffentlicht am von Ottmar Miles-Paul

Passau (kobinet) Anna Radtke ist 27 Jahre alt und wohnt mit ihrem Lebensgefährten und dessen Sohn in Passau in Niederbayern. Aufgrund einer angeborenen Muskelschwäche (Spinale Muskelatrophie) nutzt sie einen Elektro-Rollstuhl. Zusammen mit ihrem Partner hat sie 2013 ihr Hobby, das Reisen, zum Beruf gemacht und die Internetplattform „www.holicap.de – Freizeit und Reisen barrierefrei“ gegründet. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit ihr über das Angebot, ihr Beweggründe und Ziele. 

kobinet-nachrichten: Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Informationen zur Barrierefreiheit von Freizeit- und Reiseangeboten zu sammeln und zu verbreiten. Dafür haben Sie die Internetplattform www.holicap.de gestartet. Was waren die Hauptgründe für Sie, dieses Projekt anzupacken?

Anna Radtke: Mein Partner und ich sind oft und gerne unterwegs. Wir unternehmen Reisen oder Tagesausflüge. Egal was, nur nicht zu lange zu Hause herumsitzen, das liegt uns beiden nicht. Schon bei der Planung dieser Unternehmungen stoßen wir häufig auf Hindernisse. Vor allem bei der Reiseplanung haben wir uns schon die Ohren heiß telefoniert, um an die Informationen zu kommen, die wir brauchen. Wir dachten uns: Das muss doch auch leichter gehen!

Zuerst wollten wir die erfragten Informationen nur für uns sammeln. Im Gespräch mit Freunden von mir, die ebenfalls einen Rollstuhl nutzen, stellte sich heraus, dass sie genau die gleichen Probleme haben. So entstand die Idee, ein öffentliches Projekt daraus zu machen, damit möglichst viele Leute davon profitieren.

kobinet-nachrichten: Die verschiedenen Bedürfnisse und Regelungen zur Barrierefreiheit sind ja nicht unkompliziert. Wie nähern Sie sich dieser großen Herausforderung an und was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Anna Radtke: Das stimmt allerdings, diese Regelungen sind wirklich sehr umfangreich. Alleine wenn man sich die DIN-Normen für barrierefreies Bauen durchliest, ist man Stunden beschäftigt. Natürlich muss der Gesetzgeber, möchte er die Barrierefreiheit regeln, Richtlinien aufstellen, an die man sich halten kann. Mit www.Holicap.de möchten wir jedoch nicht bewerten, was für den Einzelnen barrierefrei ist und was nicht. Denn Menschen sind nicht DIN-gerecht und was für den Einen gut ist, findet der Nächste vielleicht eher hinderlich. Nehmen wir zum Beispiel ein Hotelbett: Es gibt Hotelgäste, die gerne ein möglichst hohes Bett möchten, weil sie von einem hohen Bett besser aufstehen können, oder in der Nacht umgelagert werden müssen. Anderen ist ein niedriges Bett lieber, weil sie klein sind, wie zum Beispiel Kinder oder kleinwüchsige Menschen. Deshalb geben wir einfach alle Maße an und jeder soll selbst entscheiden, was für ihn persönlich gut ist.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie als Frau mit Behinderung verreisen, was ist dabei für Sie selbst am wichtigsten?

Anna Radtke: Ich möchte auf Reisen viel erleben und die Orte, die ich besuche, kennenlernen. Wenn meine Familie und ich verreisen, schauen wir uns vorher genau an, was es an unserem Ziel zu sehen gibt und machen uns eine Liste, auf der alle zusammentragen, was sie gerne sehen würden.

kobinet-nachrichten: Und im Bezug auf Barrierefreiheit?

Anna Radtke: Da ich E-Rollstuhlfahrerin bin, achte ich vor allem auf einen stufenlosen Zugang, sowie auf eine große und bodengleiche Dusche im Hotel. Bei Ausflügen lasse ich mich aber auch gerne überraschen und probiere einfach aus. Es bleibt spannender, wenn man nicht alles vorher weiß. Das funktioniert häufig ganz gut, weil viele Menschen spontan behilflich sind und man gemeinsam Lösungen findet. Klar kommt es auch vor, dass ich unverrichteter Dinge wieder umkehren muss, wenn Ziele eben nicht für mich zugängig sind. Aber das macht die Sache auch irgendwie aufregend. Bei Hotels sieht es natürlich anders aus, da plane ich vorher ganz genau. Doch selbst dann erlebt man noch Überraschungen, habe ich festgestellt. Du stehst vor deinem Hotel und der Aufzug ist zu klein. In solchen Situationen ist es gut, wenn man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Meist findet sich eine Lösung. Bis jetzt musste ich zumindest noch nie auf der Straße übernachten.

kobinet-nachrichten: Sie wohnen in Passau in Bayern. Wie sieht es dort mit barrierefreien Freizeitangeboten und Reisezielen aus? Könnten Sie dort etwas besonders empfehlen?

Anna Radtke: Wer Passau unsicher machen möchte, muss sich auf Kopfsteinpflaster einstellen. Das ist so, da Passau einen alten Stadtkern hat. Der macht das Flair dieser Stadt aus und auch die "holprigen" Gassen gehören hier irgendwie dazu. Nichts desto trotz, gibt es Wege, die man problemlos auch mit 4 Rädern überwinden kann, man muss sie nur kennen. Auf www.Holicap.de haben wir deshalb eine Stadtrallye ausgearbeitet. Einen Rundgang mit allen wichtigen Sehenswürdigkeiten Passaus, der diese "Schleichwege" mit einbezieht und die Straßen mit Kopfsteinpflaster möglichst meidet. Ganz ist das in einer Stadt wie Passau aber noch nicht möglich.

Was die Sehenswürdigkeiten betrifft, sollte man als Tourist in Passau den Dom gesehen haben. Früher war am Eingang eine recht hohe Stufe, letztes Jahr wurde diese aber abgeflacht. Jetzt kommt man über eine kleine Schwelle hinein. In ihm befindet sich die weltweit größte Domorgel. Der Klang dieser Orgel ist echt etwas Besonderes. Als Passauerin gebe ich damit auch schon ganz gerne an. Auch sehr sehenswert ist die Passauer Ortsspitze. An dieser Landzunge mitten in der Stadt fließen die drei Flüsse Passaus Donau, Inn und Ilz zusammen.

kobinet-nachrichten: Vor kurzem haben Sie ein Stipendium als Inklusionsbotschafterin im Rahmen eines von der Aktion Mensch geförderten und von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) durchgeführten Projektes bekommen. Was ist Ihnen in Sachen Inklusion wichtig und wofür setzen Sie sich noch ein?

Anna Radtke: Im Bezug auf Inklusion ist mir vor allem wichtig, dass dieses Thema irgendwann nicht mehr so hoch gehängt werden muss. Und zwar deshalb, weil Inklusion selbstverständlich geworden ist. Das bedeutet für mich nicht unbedingt, dass alles für jeden komplett ohne Hilfe nutzbar sein muss. Sondern eher, dass die Gesellschaft akzeptiert, dass Menschen mit Behinderung nicht anders sind, als Menschen ohne Behinderung. Übrigens gibt es noch viele andere Bereiche, für die ich mir wünsche, dass die Menschen mehr zusammenwachsen. Ganz aktuell gerade bei der Situation der vielen Flüchtlinge.

Man sollte nicht mehr darüber diskutieren müssen, dass einzelne Gruppen ausgeschlossen werden. Wir brauchen alle einmal Hilfe. Und deshalb müssen wir alle lernen, selbstverständlich damit umzugehen. Auf der einen Seite ist es bei Menschen ohne Behinderungen wichtig, dass sie Verständnis aufbringen und im Kopf barrierefreier werden. Aber andererseits müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen und als Menschen mit Handicap lernen, uns einzubringen. Nicht nur zu fordern, sondern auch zu geben. Es ist immer einfacher, zu bemängeln was falsch ist, als nach einer Lösung zu suchen, die für alle funktioniert. Oder auch einmal zu akzeptieren, dass nicht alles perfekt sein kann. Im Übrigen ist das Ziel "Inklusion" meiner Meinung nach erst dann erreicht, wenn man nicht mehr nach "wir" und "die da" trennt.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg.

 

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Quelle: Kobinet-Nachrichten